Ortsnamen beliebter als Gummibärchen

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Zum ersten Mal hat die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in der „Nacht des Wissens“ die Türen ihrer Geschäftsstelle geöffnet – mit großem Erfolg.

Hunderte von Besuchern kamen am 9. Juli zwischen 17 und 24 Uhr, informierten sich an den Ständen, nahmen an Ratespielen teil und verfolgten ein Szenenspiel im Garten.

Vier Forschungsprojekte präsentierten sich an dem Abend: das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch (FWB), die Ortsnamen, Qumran Digital und Wortgeschichte digital. „Es war anstrengend, hat aber auch Spaß gemacht“, meint Anna-Lina Sperling, die das Veranstaltungsprogramm für das FWB koordiniert hat. „Die Leute waren sehr aufgeschlossen und neugierig.“ Außerdem seien deutlich mehr Leute dagewesen, als sie erwartet hätten. So waren auch immer alle Plätze bei dem dreimal aufgeführten Theaterstück „Wie viele Narren gibt es im Frühneuhochdeutschen – eine lexikographische Spurensuche“ belegt, und die Darsteller Dr. Andrea Moshövel und Matthias Hofmann bekamen viel Applaus.

Über das Interesse der Besucher haben sich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der anderen drei Projekte gefreut. Dr. Annette Steudel vom DFG-Projekt „Qumran Digital“ berichtete besonders begeistert von jüdischen Mitbürgern, die mit ihnen ins Gespräch gekommen seien. „Sie haben damit die Relevanz, die unsere Arbeit auch für die Bewahrung eines Teils der jüdischen Kultur und Sprache leistet, auf besondere Weise lebendig werden lassen“, sagte Steudel. Das sei ein sehr schöner, unerwarteter Lohn für die tägliche Arbeit im Projekt. Steudel wies außerdem darauf hin, dass auch die Workshops, die das Projekt Qumran Digital in der „Nacht des Wissens“ an der Theologischen Fakultät angeboten hatte, ausgebucht gewesen seien und viel Spaß gemacht hätten.

Dr. Kirstin Casemir vom Projekt „Ortsnamen zwischen Rhein und Elbe – Onomastik im europäischen Raum“ staunte am meisten darüber, dass die meisten Besucher tatsächlich lieber ein Ortsnamenbuch vom Landkreis Göttingen als Gummibärchen gewinnen wollten. „Manche konnten es gar nicht fassen, dass sie einen solchen Band bekommen haben und sogar behalten durften“, berichtete Casemir und lachte, als sie erzählte, dass sie sechs Bände sogar signieren sollten. „Man kam sich fast berühmt vor.“  An lustigsten sei eine junge Dame gewesen, die sich erst für die Gummibärchen entschieden hatte, weil sie das Buch ja doch nicht lesen würde, dann aber nach knapp zehn Minuten zurückkam und fragte, ob sie es tauschen dürfte, weil sie jemanden kenne, für den der Göttingen-Band sehr interessant sei.

Überraschend war auch Deutschlands bekanntester Namenforscher, Prof. Jürgen Udolph, den ganzen Abend am Stand seines Projekts im Einsatz. Er habe sogar grundlegende Fragen der Ortsnamenforschung mit Besuchern besprechen können, äußerte er sich erfreut. Einen Besucher habe er aktiv angesprochen. Der Mann habe nämlich ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Ich komme aus Osnabrück“ getragen. „Sagen Sie mal, der Name Osnabrück weist ja eigentlich darauf hin, dass da eine Brücke über einen Fluss stand. Der Fluss dort heißt aber Hase. Warum?“, habe Udolph von ihm wissen wollen. Der T-Shirt-Träger guckte verblüfft und erfuhr von dem Experten, dass Flüsse ursprünglich nicht nur einen, sondern zum Teil mehrere Namen hatten, Teilabschnittsnamen genannt, die in manchen Orten hängengeblieben waren.

Am Stand des Projekts „Wortgeschichte Digital“ waren die Mitarbeiter besonders angetan vom Interesse auch jener Besucher, die gar kein Deutsch verstanden, darunter zwei aus Indien stammende Biologen. „Sie haben sich unsere Stichwörter angeschaut und sich alles sehr interessiert auf Englisch erklären lassen“, berichtete PD Dr. Volker Harm. „Unter den Stichwörtern ist ihnen dann Kaste aufgefallen, ein Wort das sie kannten.“ Sie waren erstaunt, dass das Wort aus dem Portugiesischen stammt und im Kontext der ersten Begegnung zwischen portugiesischen Seefahrern mit den Bewohnern der indischen Küstenregion um 1500 aufkam. „So hatten die beiden Inder ganz unerwartet eine Begegnung mit ihrer eigenen Geschichte und Kultur an unserem Stand zur Wortgeschichte des Deutschen“, sagte Harm.

Auch das Projekt „Johann Friedrich Blumenbach – Online“ der Göttinger Akademie hat sich an der Nacht des Wissens beteiligt. Dafür bot sich die Ausstellung mit Blumenbachs Sammlungsobjekten an, die momentan im Geowissenschaftlichen Zentrum zu sehen ist. Für Erwachsene gab es eine Ausstellungsführung, und Kinder konnten die Objekte bei einer „Schnitzeljagd“ erkunden. Mit zehn richtig beantworteten Fragen gewannen sie einen fossilen Haifischzahn oder einen kleinen Halbedelstein. „Wir hätten mit etwa 20 Kindern gerechnet, aber es kamen mehr als 80, und wir mussten zweimal Fragebögen nachdrucken“, sagte Wolfgang Böker. Die Kinder seien sehr konzentriert gewesen, selbst bei den schwierigeren Fragen. „Auf diese Weise konnten wir mit den Eltern ins Gespräch kommen und etwas über Blumenbachs Sammlungen berichten.“

Einige Besucher äußerten aber auch grundsätzliches Bedauern. Das Angebot in der „Nacht des Wissens“ sei toll, aber viel zu umfangreich für eine Nacht. Man könne unmöglich alles auf einmal auf- und mitnehmen. alo